2024 wird in den USA ein neuer Präsident gewählt, vermutlich entweder Joe Biden oder Donald Trump. Wie die Wahl auch ausgeht, eine Hälfte der Bevölkerung wird die Wahl verlieren. Würde Trump gewinnen, hätten die USA zum ersten Mal einen Präsidenten, von dem es mittlerweile einen “Mug Shot” gibt. Vier Verfahren laufen mittlerweile gegen ihn. Die einen finden das schrecklich, die anderen sehen darin den Versuch, Ihren Kandidaten zu desavouieren. Die Fronten sind so verhärtet, diesbezüglich und auch zu ganz fundamentalen gesellschaftlichen Themen, dass bei den Verlierern eine Entkopplung vom Glauben an das Staatswesen droht. Dies gilt gleichermassen für beide Seiten.
Die Schweiz hat hier ein Gegenmodell, was die breite Mitte eint, nicht die Pole an den beiden Enden des Spektrums. Und so beobachten wir in der Schweiz die Polarisierung der Gesellschaft weit weniger, als dies zur Zeit in den USA der Fall ist.
DIE BREITE MITTE IM DRIVER SEAT
In der Schweiz wird im Oktober 2023 wieder gewählt. Es wird wie immer einen energischen Wahlkampf geben. Es wird von Links und Rechts um jede Stimme gekämpft. Es wird gewählt. Das Resultat wird aber sein, dass die Regierung der Schweiz aus einem breiten politischen Spektrum zusammengesetzt wird. Die sogenannte “Zauberformel” wird angewandt, die dafür sorgt, dass die grösseren Parteien von links bis rechts Bestandteil der Regierung werden. Und so finden sich am Ende in der Schweiz 70-80 % aller Wählenden in ihrer Regierung wieder. Warum werden in der Schweiz keine Koalitionen gebildet, die reichen, um eine Mehrheit von etwas über 50% zu erreichen? Der Grund liegt bei den Volksabstimmungen. Dieses starke Schwert des Souveräns würde es einer Regierung, die nicht die breite Mitte der Bevölkerung repräsentiert, unmöglich machen “durchzuregieren”. Die Regierung würde durch das Volk regelmässig per Volksabstimmung gestoppt.
"Winner takes all" verhärtet die Fronten
Im krassen Kontrast dazu stehen “Winner Takes All” Demokratien, wie wir sie z.B. in den USA kennen. Die Stimmen des Verlierers in einem Wahlkreis gehen quasi komplett verloren. 2016 erhielt Donald Trump 2,87 Mio. Stimmen weniger als Hillary Clinton, gewann aber dennoch die Wahl, weil er mehr Wahlkreise für sich entscheiden konnte als seine Rivalin. Es reichten 63 Mio. Stimmen und damit 19,5% der Bevölkerung, um die USA zu regieren. Wenn eine Regierung dann eine eher spaltende politische Agenda hat, wie es im Falle von Donald Trump zweifellos der Fall war und ist, repräsentiert dieser Präsident einen Rand der Gesellschaft, die breite Mitte aber nicht.
Gesellschaftliche Herausforderungen mit enormem Spaltpotenzial brauchen breiten Konsens
Unsere Fähigkeit, die Zukunft der Menschheit zu gestalten, nimmt exponentiell zu. Immer schneller können wir bahnbrechende Veränderungen auf den Weg bringen – mit offenem Ausgang, ob diese uns nützen oder schaden.
Künstliche Intelligenz wird eine Kraft entwickeln, die die konsolidierte Denkleistung der Menschen in vermutlich weniger als einer Generation in den Schatten stellt. Genmanipulation wird uns von vielen Krankheiten befreien, aber auch den vor Geburt durchdesignten Menschen möglich machen. Der Kampf der politischen Systeme auf globaler Ebene nimmt an Härte zu, kriegerische Auseinandersetzung entlang dieser Linie häufen sich. Dies sind nur drei Megatrends, die uns vor enorme Herausforderungen stellen. Wenn bei solch fundamentalen Fragen regelmässig eine Hälfte verliert und eine andere gewinnt, werden die Resultate extrem sein und keinen breiten gesellschaftlichem Konsens erreichen.
Natürlich kann man diesen Konsens auch in einem demokratischen System finden, wie es die USA oder Grossbritannien kennen. Wenn die Pole einer Gesellschaft aber “auf Krawall gebürstet” sind, ist es deutlich schwieriger, eine Politik des Konsenses in der breiten gesellschaftlichen Mitte zu fahren.
Die US-Wahlen 2024 werden wieder viele frustrierte Verlierer hinterlassen. Dies zu verhindern, wäre eigentlich “the name of the game” dieser Tage, um eine immer tiefere Spaltung der Gesellschaft zu verhindern und die grossen Themen der Zukunft breit abgestützt anzugehen. Eine Regierung am einen oder anderen Ende des Spektrums ist Gift für den gesellschaftlichen Konsens.
Es ist nicht leicht, dieses Problem zu lösen. Grundlegende Wahlreformen sind wohl eher unwahrscheinlich, zu viel hängt an den bestehenden Systemen dran. Linderung könnte die Einführung von Volksabstimmungen Schweizer Art als zusätzliches Demokratieelement bringen. Sie haben den grossen Vorteil, dass, nachdem der Souverän gesprochen hat, einige nicht für eine gesamte Wahlperiode “Verlierer” sind, sondern weiter mit gestalten können. Und es diszipliniert Regierungen dazu, den breiten Konsens zu suchen.